Schirkoa: In Lies We Trust im Kino

Schirkoa: In Lies We Trust im Kino

Interview mit Regisseur Ishan Shukla – Das Leben unter Papiertüten

Animationsfilme zu produzieren war früher ein langwieriger und teurer Prozess, doch Ishan Shukla fand letztendlich einen innovativen Weg, wie er seine dystopische Vision mit einem kleinen Team verwirklichen konnte. Unterstützt wurde er dabei von Rapid Eye Movies, die ihre faszinierende Co-Produktion nach erfolgreichen Festival-Vorstellungen in Rotterdam und München in die Kinos gebracht haben. Außerdem fand Shukla im Laufe des Projekts einen Bruder im Geiste mit King Khan – nicht der Bollywoodstar, sondern der Musiker. Er übernahm eine der Rollen im Film und lieferte auch gleich mehrere Stücke für den Soundtrack.

Schirkoa – In Lies We Trust spielt in einer Welt, in der alle Menschen Papiertüten auf dem Kopf tragen und durchnummeriert sind. Doch nicht alle Menschen halten sich an diese Regeln.
Basierend auf seiner eigenen Graphic Novel drehte Ishan Shukla 2016 einen Kurzfilm, der sehr erfolgreich wurde und ihm ermöglichte, seine Welt in diesem Spielfilm nochmal weiter auszubauen. Wir sprachen mit dem Regisseur nach seiner Vorstellung beim Filmfest München.

Wo kommt die Idee mit den Papiertüten her? Ich musste sofort an einen Schauspieler denken, der einmal vor Jahren mit so einer Tüte über dem Kopf auf den roten Teppich ging.
Shia LaBeouf, aber damals war mein Kurzfilm schon in Arbeit, damit das klar ist. (lacht)

Natürlich. Aber woher kam diese Idee mit den Tüten?
Als ich anfing im Bereich Animation zu arbeiten, war ich zunächst enttäuscht, weil ich bei einer Firma angestellt war, wo meine Tätigkeit im Grunde ein Bürojob war. Ich musste auch viel mit der U-Bahn fahren und dabei zeichnete ich gerne. Ich fing also an, die Leute in der ersten Reihe zu skizzieren und sie hatten immer die gleichen unbeteiligten Gesichtsausdrücke. Also fing ich irgendwann an nur noch Kästen anstelle ihrer Gesichter zu malen.
Außerdem hatte ich selbst das Gefühl, in eine Kiste gepackt zu werden und ich fand, dass wir dort alle unsere Individualität verlieren. Daher kam die Idee mit den Papiertüten.
Wir leben in einer Dystopie, in der wir alle unsere Individualität verlieren. Das passte auch gut als Metapher für eine perfekte Gesellschaft, in der wir uns alle eintüten lassen. Dadurch entfernen wir unsere kulturellen und ethnischen Unterschiede.

Wann haben Sie geahnt, dass Sie Schirkoa so lange begleiten würde?
Ich musste diese Geschichte einfach rauslassen. Ich hatte keine Ahnung, dass so etwas damit geschehen würde. Ruhm oder rote Teppiche waren nie mein Ziel. Für mich war es einfach nur wirklich wichtig, den Film zu Ende zu bringen und meiner Frau zu sagen: Jetzt haben wir Zeit. (lacht) Es hat einfach so lange gedauert! Und es ist schön etwas zu Ende zu bringen, was man angefangen hat. Jeder weiß, wie es ist, eine Idee aufzuschreiben und sich etwas vorzustellen. Dann bringt man diese Reise hinter sich und wird fertig, nur um festzustellen, dass das Ergebnis genau so aussieht, wie man es wollte. Das allein ist schon ein Sieg für mich.

Sie sind bei dieser Reise auch über eine Technologie gestolpert, die animierte Independent-Filme sehr revolutionieren könnte. Wie kam es dazu?
Es war eine Herausforderung. 2016 hatte ich den Kurzfilm fertig, der im Grunde ein kleiner Teil dieser großen Geschichte war. Ich wollte einfach etwas kreieren. Ich hatte nur etwas geschrieben und mir wurde klar, dass ich mehr mit dieser Welt machen musste. So kam es zu dem Kurzfilm. Allerdings war das schon so schwierig, dass mir klar wurde, ein Langfilm wäre für einen Independent-Filmemacher und Solo-Animateur wie mich unmöglich umzusetzen.
Also habe ich mir verschiedene Technologien angesehen und überlegt wie man einen solchen Feature Film realisieren könnte, ohne 15 Jahre damit zu verbringen.
Da ich Gamer bin, habe ich mir auch die Technologie angesehen, die man für Computerspiele verwendet. Dabei stieß ich über die Unreal Engine von Epic Games, die die Fortnight Serie gemacht haben. Ich habe diese ausprobiert und die Resultate sahen wirklich cool aus. 2017/2018 war das alles noch sehr neu. Heutzutage wird die Unreal Engine immer mehr für TV Serien und Filme genutzt, doch als ich damit anfing, war das noch nicht der Fall. Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich auf diesem Weg einen 100minütigen Spielfilm animieren könnte. Ich bräuchte nur ein kleines Budget, eine kleine Crew und es würde dann mindestens so aussehen können, wie ich es mir vorgestellt habe.
Ich habe also mal ein paar Tests gemacht und die Ergebnisse mit dem Team von Epic Games geteilt. Da ihnen das Projekt gefiel, haben sie es sogar unterstützt.
Im Animations–Bereich ist es so, dass man den endgültigen Frame erst am Ende der Postproduktion sieht. Man braucht dafür also viel Fantasie. Bei Echtzeit–Game–Engines sieht man aber von Anfang an, wie der Film am Ende aussehen wird. Man sieht das Licht, die Farben, die Charaktere, die Oberflächen–Struktur, die Perspektive – einfach alles. Das war sehr wichtig, denn so wurde mir klar, dass ich den Film wie einen normalen Live–Action–Spielfilm drehen könnte.
Also überlegte ich, einfach Schauspieler und die Motion–Capture–Technologie zu nutzen. Wir haben echte Schauspieler angestellt und Drehbuch–Proben wie bei einem Theaterstück gemacht. Wir haben das Ganze dann so innerhalb von 14 Tagen gedreht, ohne irgendwelche Kameras. Das Schauspiel, die Bewegungen und die Mimik, wurden dann auf die animierten Charaktere übertragen. Das war ein toller Prozess. Ich konnte dann nämlich überlegen, welches Licht und welche Perspektive ich verwenden will und die Figuren bewegten sich schon.

Sie haben auch sehr viele bekannte Sprecher*innen für das Projekt gewinnen können und ich habe gelesen, dass sie auch improvisiert haben. Wie hat das funktioniert? Haben Sie erst den Ton aufgenommen und danach die Animation gemacht?
Der Prozess war so, dass man mit dem fertigen Drehbuch zunächst die Stimmen aufnimmt. Die Sprache kommt immer als erstes, da damit quasi das Skelett des Filmes steht. Uns war wichtig, dass alle Schauspieler (also die Sprecher) selbst etwas einbringen können und das haben sie auch gemacht. Das war fantastisch! Danach haben wir das Drehbuch mit ihren Improvisationen überarbeitet und in der Motion-Capture-Phase mussten nur die Lippen dazu bewegt werden.

Uns interessiert auch sehr wie Rapid Eye Movies bei diesem Projekt an Bord kam, da sie aus Deutschland kommen und für die Verbreitung indischer Produktionen sehr bekannt und geschätzt sind.
Die Produzentin von der franzö-sischen Produktionsfirma, mit der ich schnell einen Partner fand, weil sie Schirkoa nicht als kinderfreundlichen Animations-film betrachteten, schlug mir Stephan Holl vor, weil sie ihn kannte und er war sofort dabei. Ich kannte auch schon ein paar Filme, die er gemacht hat. Ein von ihm produzierter Film, Alipato von Khavn, hat uns auch inspiriert. Ich sagte ihm, das sei fast schon kosmisch.
Wie war die Zusammenarbeit mit dem Musiker King Khan?
Das war eine unglaubliche Erfahrung. Wir wussten schon, dass Stephan auch die Musik produzieren würde und er brachte Sneha Khanwalkar (Gangs of Wasseypur) an Bord, eine Komponistin aus Indien. Wir brauchten aber auch noch weitere Stimmen, denn der Film verändert seinen Stil und sein Genre im Laufe der Geschichte. Stephan schlug daraufhin Asia Argento vor und als ich anfing, mit ihr zu sprechen, wurde mir klar, dass sie auch eine sehr coole Musikerin ist. Daher entwickelte sich dann auch die Idee, dass ihr Charakter einen ihrer eigenen Tracks darbieten könnte.
Für einige Szenen brauchten wir aber ganz unterschiedliche Musikstile, zum Beispiel Underground und Garage Rock oder diesen coolen Sound, den King Khan macht.

Als dieser dann von Stephan vorgeschlagen wurde und ich zum ersten Mal mit ihm redete, hatte ich das Gefühl, wir wären Brüder. „Warum sind wir uns erst jetzt begegnet in unserem Leben?“, fragte ich ihn. Wir sprachen dann unter anderem über seinen Charakter und die Sorte Musik, die wir im Film verwenden wollten. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass er mir daraufhin täglich Tracks geschickt hat. Er hat jede Menge Energie!
Er hat so viel zu der Figur beigetragen und zwei seiner Songs, für die wir uns die Lizenz besorgten, haben die zweite Hälfte des Films sehr stark geprägt.

Es ist sehr schwer, den Look der Stadt kulturell einzuordnen. Was waren die Inspirationen hierfür?
Die Stadt Schirkoa ist so angelegt, dass sie in kompakter Form die ganze Welt widerspiegelt. Es gibt Einflüsse der Architektur und Kleidung aus verschiedenen Erdteilen. Es gibt ein Parlament, für das wir uns bei unterschiedlichen Vorlagen bedient haben. Ich habe sehr viel durcheinander gemischt. Die zweite Hälfte des Films ist etwas freier und da gibt es auch Inspirationen aus Brasilien oder Indien.

Eine Thema des Films ist Religion und auch hier gibt es verschiedene Einflüsse. Allerdings bekommt man in Indien bei solchen Darstellungen auch manchmal Probleme bei der Veröffentlichung. Hatten Sie da Bedenken oder gar nicht, da der Film so universell ist?
Ich arbeite nun schon 10 Jahre an diesem Film, daher habe ich zu Beginn gar nicht über so etwas nachgedacht, aber es hat sich auch sehr viel verändert und jetzt denke ich natürlich daran.
Eigentlich kam die Religions-thematik von meinen persönlichen Erfahrungen. Ich habe nämlich drei Jahre in einem Kloster in Indien verbracht. Ich wollte kein Mönch werden, sondern habe dort gearbeitet, aber es war eine faszinierende Erfahrung für mich. Ich hatte dort sehr interessante Diskussionen mit den Mönchen über das Leben, den Kosmos, Gott oder Religion. Sie haben auch nie versucht mich zu bekehren, weil ich nicht so viel damit anfangen konnte. Diese Zeit hat mich sehr stark beeinflusst und das ist auch in den Film eingeflossen.
Mir wurde klar, dass Götter manchmal erschaffen werden können, dass es Absolutes gibt, wovon wir nicht viel wissen und dann gibt es noch diese unklaren Gewässer, in denen Religion ihre Rolle spielt. Am Wichtigsten dabei ist aber der Glaube und dabei handelt es sich um eine sehr individuelle Angelegenheit, die nichts mit Gott zu tun haben muss.
Nachdem Sie sich nun so eine lange Zeit mit dieser Welt beschäftigt haben, sind Sie jetzt fertig damit? Arbeiten Sie schon an etwas Neuem? Oder wird es wohl eine Fortsetzung in 10 Jahren geben?
Diese Welt geht mir noch immer nicht aus de Kopf und ich möchte all diesen Charakteren Raum zum Atmen geben. Ich denke noch immer, dass man mit einer Serie so viele Geschichten erzählen könnte! Das habe ich also noch im Hinterkopf. Außerdem muss ich noch die Graphic Novel zu Ende bringen. Aber aktuell arbeite ich an etwas anderem, denn ich brauche eine Pause. Im Moment arbeite ich an einem Animationsfilm mit einer ganz anderen Geschichte. Aber ich experimentiere gerade auch viel mit Game Engines und es gibt eine Geschichte, die man sowohl in einem Spielfilm als auch in einem Spiel umsetzen könnte. Vielleicht könnte es auch eine Kombination sein.

Bilder: © Rapid Eye Movies